Zahlungseingang bei der Insolvenz in Eigenverwaltung

Vereinnahmt der Insolvenzschuldner im Rahmen der Eigenverwaltung das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet dies eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO1.

Hat ein Unternehmer, der der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten als sog. Sollbesteuerung unterliegt (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG), eine Leistung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, für die erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung vereinnahmt, führt die Vereinnahmung durch den Insolvenzverwalter nach nunmehr ständiger Rechtsprechung der beiden für Umsatzsteuerrecht zuständigen Senate des Bundesfinanzhofs zu einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die insolvenzrechtlich eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, während die zuvor für Leistungserbringung vorgenommene Besteuerung für das Jahr der Insolvenzeröffnung zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG) und bei der Berechnung der sich für dieses Jahr ergebenden Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung zu berücksichtigen ist2.

Der Bundesfinanzhof hält hieran unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben fest.

Grundlage der BFH-Rechtsprechung ist der sich aus § 251 Abs. 2 Satz 1 AO ergebende Vorrang des Insolvenzrechts. Danach können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur unter den Bedingungen des Insolvenzrechts geltend gemacht werden.

Dies wirkt sich auf das Steuerrecht in unterschiedlicher Weise aus.

Zum einen erfordert die insolvenzrechtlich vorgegebene Aufteilung in Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO), dass der sich für den Besteuerungszeitraum (§ 16 UStG) ergebende Steueranspruch diesen Bereichen entsprechend aufgeteilt wird. Hierzu sind die Steueransprüche aus erbrachten Leistungen, die abziehbaren Vorsteuerbeträge aus bezogenen Leistungen ebenso wie die Berichtigungsansprüche und die weiteren bei der Steuerberechnung zu berücksichtigenden Besteuerungsgrundlagen den jeweiligen Bereichen der §§ 38, 55 InsO zuzuordnen, so dass sich hieraus eine Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung und eine Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit ergibt.

Zum anderen hat die Insolvenzeröffnung auch materiell-rechtliche Rechtsfolgen, wie das Beispiel der Vorsteuerberichtigung für bis zur Insolvenzeröffnung unbezahlt gebliebene Leistungsbezüge zeigt3.

Zu diesen materiellen Wirkungen gehört auch das Rückgängigmachen einer wegen unterbliebener Vereinnahmung erfolglosen Sollbesteuerung. Diese beruht auf der gesetzgeberischen Erwartung, dass der Unternehmer die Gegenleistung für die von ihm erbrachte Leistung alsbald vereinnahmen kann4. Trifft dies zu, hat der Unternehmer die für seine Leistungen geschuldete Steuer aber bis zur Insolvenzeröffnung -nach Steuerberechnung (§ 16 UStG)- nicht an das Finanzamt abgeführt, ist das Finanzamt als Insolvenzgläubiger zu behandeln, da sich hier das normale Gläubigerrisiko einer Schuldnerinsolvenz verwirklicht.

Anders ist es, wenn es zu einer Überschneidung von Insolvenzbereich (§ 38 InsO) und Massebereich (§ 55 InsO) kommt und erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung für die vor der Insolvenzeröffnung erbrachte Leistung vereinnahmt. Die hier erforderliche Abgrenzung der Vermögensbereiche der §§ 38, 55 InsO zwingt zu der Entscheidung, ob es bei der Einordnung der für die Leistung geschuldeten Steuer als Insolvenzforderung bleibt oder ob es zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit kommt. Letzteres ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH der Fall, da kein Grund besteht, eine vom Insolvenzverwalter vereinnahmte Umsatzsteuer als Teil einer Insolvenzforderung zu behandeln. Vielmehr ergibt sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, dass auch im Rahmen der Sollbesteuerung eine vollständige Tatbestandsverwirklichung erst mit der Vereinnahmung der Gegenleistung vorliegt. Dies rechtfertigt die Berichtigung einer zuvor vorgenommenen Sollbesteuerung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die aufgrund der Insolvenzeröffnung im Insolvenzbereich (§ 38 InsO) vorzunehmen ist und die nachfolgende zweite Berichtigung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG) im Massebereich (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) bei Vereinnahmung der Gegenleistung.

Unionsrechtliche Zweifel hieran bestehen nicht. Für die dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Berichtigungsvorschrift des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG besteht mit Art. 90 MwStSystRL eine eindeutige Grundlage. Der EuGH hat dabei auch die gesetzliche Anordnung einer zweiten Berichtigung, wie sie sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG ergibt, ausdrücklich gebilligt5.

Da für den Insolvenzfall keine unionsrechtliche Harmonisierung der sich hierfür im Mehrwertsteuerrecht ergebenden Rechtsfolgen besteht, obliegt es den Mitgliedstaaten im Rahmen der ihnen durch Art. 90 und Art. 273 MwStSystRL eingeräumten Regelungsbefugnisse diese zu bestimmen, wobei die Entscheidung über die dabei zu treffenden Auslegungsfragen des geltenden Rechts der Rechtsprechung obliegt. In Ausübung dieser Befugnis ist es nicht zweifelhaft, dass es das Unionsrecht nicht verlangt, eine vom Insolvenzverwalter als Bestandteil der Gegenleistung vereinnahmte Umsatzsteuer nach den Kategorien des nationalen Insolvenzrechts als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu behandeln. Der Bundesfinanzhof berücksichtigt dabei, dass Art. 273 MwStSystRL auch dazu dient, die genaue Erhebung der Steuer und damit die zutreffende Berechnung der Mehrwertsteuer-Eigenmittel der EU nach Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1553/89 vom 29.05.1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel6 in Insolvenzfällen sicherzustellen7. Dem trägt auch die EuGH-Rechtsprechung Rechnung8.

Daher bestehen für den Bundesfinanzhof keine Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts, so dass die Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht in Betracht kommt.

Die Vereinnahmung von Entgelten nach Insolvenzeröffnung für bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen führt auch im Verfahren der Eigenverwaltung zu einer zweiten Berichtigung als Masseverbindlichkeit.

Zu der insolvenzrechtlichen Trennung in Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit und den sich hieraus weiter ergebenden Folgen für die Anspruchsdurchsetzung kommt es auch im Verfahren der Eigenverwaltung nach § 270 InsO.

Dem steht die fehlende Bestellung eines Insolvenzverwalters nicht entgegen. Denn im Verfahren der Eigenverwaltung übt der Schuldner die Funktion des Verwalters aus.

Bei der Eigenverwaltung ist der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 InsO berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Für das Verfahren gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Dabei behält der Schuldner zwar im Ergebnis die Befugnis, nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen9.

Allerdings beruht dies darauf, dass bei dieser Art des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner in seiner Funktion als Amtswalter übertragen wird. Als solcher wird der Schuldner wie ein Insolvenzverwalter -dabei aber in eigener Sache- tätig. Er behält somit nicht seine „alte“, vor Verfahrenseröffnung bestehende Verfügungsmacht über sein Vermögen, da er nur so nach Verfahrenseröffnung die dem Insolvenzverwalter zugewiesenen Rechte wahrnehmen kann10. Der Schuldner ist dabei nicht mehr kraft eigener Privatautonomie tätig, sondern übt die ihm verbliebenen Befugnisse im Insolvenzverfahren als Amtswalter innerhalb der in §§ 270 ff. InsO geregelten Rechte und Pflichten aus11.

Zudem kommt es nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO auch im eigenverwalteten Insolvenzverfahren zur Bildung einer Insolvenzmasse und damit zu einer haftungsrechtlichen Vermögensabsonderung. Die sich hieraus ergebende Beschlagnahme des insolvenzbefangenen Vermögens ist erforderlich, um den Schuldner zur gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu verpflichten12.

Die vom historischen Gesetzgeber13 gewollte Belassung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sagt demgegenüber nichts über die Grundlagen dieser Befugnisse aus. Diese „verbleibt“ nur vordergründig beim Schuldner, während er nach Insolvenzrecht die Befugnisse eines Insolvenzverwalters bei der Forderungseinziehung verliehen erhält. Nur deshalb können seine Schuldner im Rahmen der Eigenverwaltung schuldbefreiend an ihn leisten.

Durch den Schuldner begründete Verbindlichkeiten der Insolvenzmasse werden im Übrigen auch bei der Eigenverwaltung Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 1 InsO14.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. September 2018 – V R 45/16

  1. Fortführung von BFH, Urteil vom 09.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996
  2. BFH, Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, Rz 30 ff.; ebenso für das Insolvenzeröffnungsverfahren BFH, Urteile vom 24.09.2014 – V R 48/13, BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 26 f.; und vom 01.03.2016 – XI R 21/14, BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756, Rz 15 f.
  3. vgl. bereits BFH, Urteil vom 13.11.1986 – V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226; und vom 16.07.1987 – V R 80/82, BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691
  4. BFH, Urteil vom 22.07.2010 – V R 4/09, BFHE 231, 260, BStBl II 2013, 590, Rz 43
  5. EuGH, Urteil Di Maura vom 23.11.2017 – C-246/16, EU:C:2017:887, UR 2018, 37, Rz 27
  6. ABl.EG Nr. L 155 vom 07.06.1989, 9
  7. BFH, Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 38
  8. EuGH, Urteil Marco Identi vom 16.03.2017 – C-493/15, EU:C:2017:219, UR 2017, 310, Rz 24, zur wirksamen Erhebung der Eigenmittel der EU
  9. vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2017 – IX ZR 177/15, WM 2017, 673, Rz 8
  10. Tetzlaff, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 3, 3. Aufl.2014, § 270 InsO Rz 141
  11. Tetzlaff, a.a.O., § 270 InsO Rz 143
  12. Zipperer, in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl.2015, § 270 Rz 12
  13. BT-Drs. 17/5712, S. 17
  14. Tetzlaff, a.a.O., § 270 InsO Rz 160