Nichtigkeit von Umsatzsteuerbescheiden

Ein Umsatzsteuerbescheid ist nichtig, wenn aus ihm nicht klar ersichtlich wird, ob der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) eine GmbH oder deren Geschäftsführer bzw. Liquidator ist. Der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden; ausreichend ist vielmehr, dass er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt.

Nichtigkeit von Umsatzsteuerbescheiden

Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht so bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO), dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird1. Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners im Bescheid können nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden. Die rechtliche Notwendigkeit, in einem Steuerbescheid den Steuerschuldner richtig zu bezeichnen, ist zudem ausdrücklich in § 157 AO verankert. Sie wird dadurch unterstrichen, dass der Steuerbescheid Grundlage für die Zwangsvollstreckung gegen den Steuerschuldner ist2. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Steuerschuldner in dem Bescheid nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Ausreichend ist vielmehr, wenn er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus der Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt3, sondern darüber hinaus auch die dem Betroffenen bekannten Umstände4 sowie zeitlich vorhergehende Bescheide5. Notwendig ist aber, dass diese Umstände einen eindeutigen Rückschluss erlauben.

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In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Verfahren waren die vor der Liquidation ergangenen Steuerbescheide jeweils gerichtet an: „Herrn M in Firma – C-GmbH…„. Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: „als gesetzlicher Vertreter von Firma – C-GmbH…„. Die während der Liquidation der GmbH ergangenen Bescheide sind gerichtet an: „<cite<Herrn M in Fa. – C-GmbH i.L. …“. Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: „Als Liquidator für Fa. – C-GmbH i.L. …„.

Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze war damit für Herrn M ohne weiteres erkennbar, dass er die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide zunächst in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und später als Liquidator der GmbH erhalten hat und sie ihn nicht als Steuerschuldner betreffen. Dies ergibt sich eindeutig aus den angefochtenen Steuerbescheiden selbst sowie den konkreten Gegebenheiten bei ihrem Erlass:

Die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide bezeichnen im Adressfeld zwar Herrn M als natürliche Person. Dass er nicht selbst der Steuerschuldner ist, ergibt sich aber bereits aus dem Zusatz „in Fa. – C-GmbH“ bzw. „in Fa. – C-GmbH i.L.“. Denn hieraus folgt, dass ihm die Bescheide lediglich in der (Umsatzsteuer-)Sache der Firma – C-GmbH bekannt gegeben werden. Bestätigt wird dies durch den unterhalb des Adressfeldes ersichtlichen Zusatz „als gesetzlicher Vertreter“ bzw. „als Liquidator“. Dieser Zusatz bezeichnet die Vertretungsfunktion des Herrn M als Geschäftsführer bzw. später als Liquidator der GmbH (- C-GmbH).

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Hinzu kommt, dass die bei der Auslegung zu berücksichtigenden Erläuterungen in den Steuerbescheiden die GmbH als betroffene Steuerschuldnerin anführen.

Die geänderten Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre 2006 bis 2009 vom 14.12.2015 verweisen bei den Erläuterungen zunächst darauf, dass bei der Abhilfe zwei Betriebsprüfungs-Feststellungen aufgehoben wurden, „da die Fa. – C-GmbH die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu versteuern hat„. Des Weiteren steht in den Erläuterungen: „Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch/Antrag vom 21.05.2012“ und „Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 27.04.2012„. Die jeweiligen Bescheide vom 27.04.2012 wiederum enthalten im Festsetzungsteil den Zusatz, dass die eingegangenen Umsatzsteuer-Jahreserklärungen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen und weisen im Erläuterungsteil darauf hin, dass der Festsetzung/Feststellung die Ergebnisse der „bei Ihnen“ durchgeführten Außenprüfung zu Grunde liegen. Herrn M war nicht nur bekannt, dass er selbst nicht gewerblich oder beruflich selbständig tätig war und er daher lediglich für die GmbH Umsatzsteuer-Jahreserklärungen abgegeben und unterschrieben hatte, sondern -in seiner Funktion als Geschäftsführer bzw. Liquidator- auch, dass bei der GmbH eine Betriebsprüfung durchgeführt worden war, gegen deren Auswertung durch die angegriffenen Steuerbescheide er Einspruch eingelegt hatte. Abgesehen davon hat das Finanzamt in den Streitjahren mehrfach Mitteilungen über die Festsetzung der Umsatzsteuer sowie Umsatzsteuerbescheide an Herrn M in Fa. – C-GmbH adressiert. Es liegen somit keinerlei Anhaltspunkte vor, aus denen Herr M hätte annehmen können oder müssen, dass nunmehr Steuerfestsetzungen gegen ihn persönlich ergangen sind.

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Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide für das Streitjahr 2010: Der Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 23.12.2015 verweist unter der Rubrik „Festsetzung“ ebenfalls auf eine Bescheidänderung und unter „Erläuterungen“ heißt es: „Bei Vereinnahmung der Geschäftsführervergütung von der Fa. S am 8.06.2010 ist dieser Umsatz zu versteuern, da die Fa. – C-GmbH der Istversteuerung unterliegt. Im geänderten USt-Bescheid für 2008 wird dieser Umsatz nicht mehr erfasst„. Darüber hinaus „erledigt sich Ihr Einspruch/Antrag vom 06.05.2013“ und „Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 11.04.2013„. Der (geänderte) Bescheid vom 11.04.2013 wird dahingehend erläutert, dass die Änderung „auf Grund der Anpassungen an die Betriebsprüfung“ erfolgte. Steht jedoch als Ergebnis der Auslegung fest, dass die GmbH der Inhaltsadressat ist, kann der jeweilige Bescheid nicht mehr als mehrdeutig und unbestimmt bezeichnet werden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Januar 2020 – V R 56/17

  1. BFH, Urteil vom 19.08.1999 – IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409, unter II. 1.[]
  2. BFH, Urteil vom 11.04.2018 – X R 39/16, BFH/NV 2018, 1075, unter II. 2.b aa, Rz 25[]
  3. BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 78/06, BFHE 224, 428, BStBl II 2009, 803, unter II. 1.b bb (1). Heranzuziehen sind hierbei nicht nur die dem Bescheid beigefügten Erklärungen ((BFH, Beschlüsse vom 11.08.2006 – V B 205/04, BFH/NV 2007, 5, sowie vom 19.02.1992 – II B 100/91, BFH/NV 1992, 784; BFH, Urteil vom 27.08.2003 – II R 18/02, BFH/NV 2004, 203, unter II.[]
  4. BFH, Urteile in BFH/NV 2001, 409, unter II. 1.a; in BFHE 224, 428, BStBl II 2009, 803, unter II. 1.b; vom 29.08.2012 – XI R 40/10, BFH/NV 2013, 182, unter II. 1.a; vom 17.11.2005 – III R 8/03, BFHE 212, 72, BStBl II 2006, 287, unter II. 1.b; vom 15.04.2010 – IV R 67/07, BFH/NV 2010, 1606, Rz 23; und vom 23.08.2017 – I R 52/15, BFH/NV 2018, 401, Rz 18[]
  5. BFH, Urteil vom 25.09.1990 – IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B.III. 1.a, m.w.N.[]
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