Berufsverschwiegenheit – und die formellen Buchführungsmängel eines Rechtsanwalts

Ob das umfangreiche Schwärzen von Kontoauszügen durch einen Rechtsanwalt zur Vermeidung der Offenlegung von Mandatsverhältnissen vom Finanzamt als Umstand herangezogen werden darf, um formelle Buchführungsmängel als Grundlage einer Schätzungsbefugnis zu begründen, betrifft keine Rechtsfrage, die abstrakt beantwortet werden kann, sondern eine Frage des Einzelfalls.

Berufsverschwiegenheit – und die formellen Buchführungsmängel eines Rechtsanwalts

Mit dieser Begründung wies jetzt der Bundesfinanzhof die Nichtzulassungsbeschwerde einer Rechtsanwaltssozietät gegen ein klageabweisendes Urteil des Finanzgerichts Münster1 zurück:

Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist2.

Bei den von den Rechtsanwälten aufgeworfenen Fragen handelt es sich zum Teil schon nicht um abstrakte Rechtsfragen.

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Die Rechtsanwälte führen sinngemäß an, der Rechtsstreit werfe Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, die das Spannungsfeld der steuerlichen Mitwirkungspflichten des Rechtsanwalts, dessen Verpflichtung zur anwaltlichen Verschwiegenheit und einer damit einhergehenden strafbewährten Gefahr des Mandantenverrats und der Offenlegung der Einnahmen aus der anwaltlichen Tätigkeit gegenüber dem Finanzamt beträfen, welche mit einer Schätzungsbefugnis als Mittel zur Offenlegung von Mandatsverhältnissen verbunden sei. Es sei klärungsbedürftig, in welchem Umfang das Schwärzen von Kontoauszügen eines Kontos mit betrieblichen Zahlungseingängen zulässig sei, da auch geringfügig erkennbare Daten aus dem Kontoauszug angesichts des technischen Fortschritts und der heutigen Recherchemöglichkeiten zur Aufdeckung von Mandatsverhältnissen führen könnten. Die Rechtsanwälte wollen somit geklärt sehen, ob das umfangreiche Schwärzen von Kontoauszügen durch einen Rechtsanwalt eine Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde und des Finanzgerichts (FG) auslösen darf. Es handelt sich insoweit aber nicht um eine Rechtsfrage, die abstrakt beantwortet werden kann, sondern um eine Frage, die den Streitfall als Einzelfall betrifft.

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO gibt dem Finanzgericht eine eigene Schätzungsbefugnis. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen bestehen. Ob solche tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, betrifft eine Frage des Einzelfalls und keine abstrakte Rechtsfrage. Dies gilt insbesondere für Aufzeichnungsmängel und Indizien, aus denen das Finanzgericht die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der aufgezeichneten Einnahmen ableitet. Einer abstrakten Aussage ist eine solche Fragestellung nicht zugänglich3. Dies betrifft auch die Frage, ob das Schwärzen der Kontoauszüge des Rechtsanwältes im Streitfall in zulässiger Weise in einem Umfang erfolgte, der einerseits keine Rückschlüsse auf Mandanten des Rechtsanwältes zuließ und andererseits einen Abgleich der Zahlungseingänge mit den abgerechneten Leistungen des Rechtsanwältes ermöglichte.

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Soweit die Rechtsanwälte die Frage für grundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig halten, welchen konkreten Einfluss die ehrenamtliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen und damit die unentgeltliche Inanspruchnahme seiner Arbeitskraft für die Gesellschaft auf die Höhe hinzugeschätzter Besteuerungsgrundlagen haben müsse, werfen sie ebenfalls keine abstrakte Rechtsfrage auf. Ob das Finanzgericht wie im Streitfall im Rahmen seiner Schätzung einen (Un-)Sicherheitszuschlag zu den Einnahmen und Umsätzen in zutreffender Höhe angesetzt hat, betrifft nur den jeweiligen Einzelfall. Der Unsicherheitszuschlag ist anhand der jeweiligen tatsächlichen Umstände wirtschaftlich vernünftig zu wählen. Einer abstrakten Aussage ist eine solche Fragestellung nicht zugänglich4. Die damit verbundene Frage, ob das Schätzungsergebnis angesichts der geltend gemachten ehrenamtlichen Betätigung des Rechtsanwältes in größerem Umfang vom Finanzgericht plausibel begründet worden ist, zielt vielmehr auf die Richtigkeit der Schätzung und auf einen Rechtsanwendungsfehler des Finanzgericht ab. Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und unzutreffenden tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das Finanzgericht im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedoch unbeachtlich5.

Soweit die Rechtsanwälte den Streitfall als grundsätzlich bedeutsam ansehen, weil der Bundesfinanzhof in seinen bisherigen Entscheidungen6 Grundsätze zur Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit in Betriebsprüfungen aufgestellt habe, von denen das Finanzgericht abgewichen sei, und es für klärungsbedürftig halten, ob diese Abweichung zulässig sei, werfen sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO auf.

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Mit diesem Vorbringen machen sie vielmehr geltend, die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, weil das FG, Urteil in einer Divergenz zu den genannten Entscheidungen stehe. Auch unter dem Zulassungsgrund der Divergenz kommt die Zulassung indes nicht in Betracht, weil die Ausführungen der Rechtsanwälte zu den Voraussetzungen einer Divergenz nicht den Anforderungen an die Darlegungslast (s. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) genügen. Sie arbeiten nicht -wie es erforderlich wäre- heraus, dass das Finanzgericht entscheidungserhebliche abstrakte Rechtssätze formuliert hat, die von tragenden Rechtssätzen der bezeichneten Divergenzentscheidungen abweichen. Die Rechtsanwälte tragen vielmehr selbst vor, dass keine Divergenz vorliegt, weil die bezeichneten Divergenzentscheidungen nur in ihren Grundgedanken mit dem Streitfall vergleichbar seien, aber hinsichtlich der zugrunde liegenden Sachverhalte vom Sachverhalt des Streitfalls abwichen7.

Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ist ebenfalls nicht erfüllt. Er stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen8. Auch dieser Zulassungsgrund setzt eine klärungsbedürftige und klärbare abstrakte Rechtsfrage voraus9. Die von den Rechtsanwälten aufgeworfenen Fragen sind jedoch keine abstrakten Rechtsfragen.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. Juni 2022 – VIII B 51/21

  1. FG Münster, Urteil vom 18.03.2021 – 8 K 3612/17 E, U[]
  2. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 07.02.2017 – X B 79/16, BFH/NV 2017, 774, Rz 11; vom 05.03.2020 – VIII B 30/19, BFH/NV 2020, 778, Rz 3[]
  3. BFH, Beschluss in BFH/NV 2017, 774, Rz 14, 20[]
  4. BFH, Beschluss in BFH/NV 2017, 774, Rz 20[]
  5. BFH, Beschluss in BFH/NV 2017, 774, Rz 22[]
  6. BFH, Entscheidungen vom 10.06.1999 – IV R 69/98, BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691; vom 12.06.2003 – XI B 8/03, BFH/NV 2003, 1323; vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; vom 23.02.2011 – VIII B 126/10, BFH/NV 2011, 1283; vom 12.07.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523; vom 04.12.2014 – V R 16/12, BFHE 248, 416; und vom 14.05.2002 – IX R 31/00, BFHE 198, 319, BStBl II 2002, 712[]
  7. s. zu den Anforderungen an eine Divergenz aus der ständigen Rechtsprechung z.B. BFH, Beschluss vom 08.12.2021 – IX B 81/20, BFH/NV 2022, 231, Rz 8, 9[]
  8. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 24.06.2014 – XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 35; vom 23.07.2019 – XI B 29/19, BFH/NV 2019, 1363, Rz 12[]
  9. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 24.07.2017 – XI B 25/17, BFH/NV 2017, 1591, Rz 25; vom 02.01.2018 – XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457, Rz 16; vom 14.07.2020 – XI B 1/20, BFH/NV 2020, 1258, Rz 13[]
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